Dr. phil. Frieder Krause

Einleitung

Noch vor einigen Jahren als eine der kontroversesten Fragen im Bereich der Sport-und Bewegungswissenschaft diskutiert, ist der Hype um die Funktion und die mögliche gezielte Trainierbarkeit des menschlichen Bindegewebes mittlerweile etwas abgeflacht. Wurde das Faszientraining im Jahr 2017 noch als der innovativste Fitnesstrend eingeschätzt (insgesamt Platz 9), landete es 2020 nur noch auf Platz 17 der wichtigsten Kernthemen gesundheitsorientierter Fitnessbetriebe [1, 2]. Nichtsdestotrotz sind Massage- und Hartschaumrollen jeglicher Farbe, Größe und Oberflächenbeschaffenheit mittlerweile aus keiner Sport- und Gesundheitseinrichtung mehr wegzudenken. Im Kontext des Faszientrainings werden allerdings noch weitere Trainingsmethoden und Prinzipien verstanden, die einen Bezug zum Bindegewebe haben und dieses gezielt trainieren sollen. Doch wie viel Evidenz steckt letztendlich hinter diesen Trainingsmethoden? Der folgende Beitrag soll einen Einblick in aktuelle Forschungsergebnisse bieten und daraus einige Implikationen für die Therapie- und Trainingspraxis ableiten.

Hintergrund

Das menschliche Faszien- und Bindegewebe besteht aus zwei grundlegenden Bestandteilen: den Zellen und der extrazellulären Matrix. Die extrazelluläre Matrix setzt sich unter anderem aus den Grundbestandteilen Fasern (kollagene und elastische), Grundsubstanz und Wasser zusammen. Während die Grundsubstanzmoleküle und das in der Grundsubstanz gebundene Wasser vor allem für Kompressionsstabilität sorgen, sind die kollagenen und elastischen Fasern für Stabilität gegenüber Dehnungen verantwortlich [3–7]. Anatomische und histologische Erkenntnisse der 1990er- bis Anfang der 2010er-Jahre, unter anderem zum Aufbau des Fasziengewebes, zur Existenz freier Nervenendigungen und Schmerzrezeptoren oder kontraktiler Zelltypen haben das gesteigerte öffentliche Interesse um eine mögliche gezielte Trainierbarkeit des Bindegewebes ausgelöst [8–14]. Aber auch ein neu verstandener und definierter Begriff der faszialen Gewebe hat die Betrachtung des Bindegewebes in jüngerer Zeit verändert. Entgegen älterer und enger gefassten Definitionen wird der Begriff heute deutlich weiter verstanden und schließt jegliche dichten kollagenen Gewebe ein, deren Architektur primär durch lokale Zugbelastungen geformt wird [15–17].

Diese Definition umfasst demnach ebenfalls das intermuskuläre Bindegewebe, den Kapsel- und Bandapparat sowie Sehnen und Aponeurosen. Grundlegende Gemeinsamkeit all dieser Gewebe ist der hohe Gehalt an kollagenen Fasern, die jeweils in Dichte und Regularität bzw. Ausrichtung variieren. Die eigentliche Muskel- oder Myofaszie, auch als tiefe Faszie oder fascia profunda bezeichnet [18], umgibt den Skelettmuskel und dessen Epimysium. Sie ist aus mehreren Schichten dichten, faserigen Bindegewebes aufgebaut, welche von Einschlüssen losen Bindegewebes (Hyaluronsäure) voneinander getrennt sind [8, 9]. Man geht davon aus, dass diese Architektur ein Gleiten der einzelnen Schichten gegeneinander zulassen soll, um eine harmonische und flüssige Bewegung bei Kontraktion oder Dehnung des Muskels und des umgebenden Gewebes zu ermöglichen. Aus histologischen Studien ist zudem zu erkennen, dass die Faszienschicht der oberen Extremität mehr elastische Fasern als die der unteren Extremität, sowie an der Körperrückseite eine höhere Dicke als an der Körpervorderseite besitzt [9, 10]. Vermutlich ist dies der vorrangig gegen die Schwerkraft arbeitenden unteren Extremität sowie Körperrückseite im Gegensatz zur filigranen Feinmotorik beispielsweise der Finger geschuldet.

Abgeleitet von diesen Befunden haben sich speziell auf das Bindegewebe ausgerichtete Trainingsmethoden entwickelt [19], von denen die Selbstmassage mit sogenannten Foamrolls (von engl. Foam = (Hart)schaum) die bekannteste und wohl auch neuartigste ist. Daneben werden etablierte Trainingsmethoden wie dynamische Dehnungen, Sprünge und Übungen zur Körperwahrnehmung unter Berücksichtig der Anatomie und Funktion des Bindegewebes in neuem Fokus gesehen. Ebenso werden Ferneffekte (also Effekte entfernt der eigentlichen Intervention) mit Kraftübertragung entlang sogenannter myofaszialer Ketten erklärt [20]. Zu den spezifischen Effekten der postulierten Trainingsmethoden auf das Bindegewebe gibt es bisher allerdings nur wenige Untersuchungen. Im Folgenden werden die Trainingsansätze und -methoden kurz vorgestellt und auf Basis aktueller Evidenz eingeordnet.

Dynamisches Dehnen

Im Gegensatz zum statischen Stretching wird bei dynamischen Dehnübungen die Endposition eines Gelenkes aktiv eingenommen und nur kurz bis gar nicht gehalten. Während des Stretchingbooms in der 1980er- und 90er-Jahren als gesundheitsschädlich verpönt, haben sich schwungvolle und dynamische Dehnübungen mittlerweile wieder vollends in der Sport- und Trainingspraxis etabliert. Auch wissenschaftlich sind die Effekte von dynamischer Dehnung auf Parameter der Beweglichkeit, der Leistungsfähigkeit und der Verletzungsprophylaxe gut untersucht [21]. Insbesondere in Sportarten mit schnell- und explosivkräftigen Komponenten (beispielsweise alle Spielsportarten) werden dynamische Dehnungen im Rahmen des Warm-up eingesetzt, da diese im Gegensatz zu statischen Dehnmethoden keinen leistungsmindernden Effekt haben [22]. Im Kontext des Faszientrainings wird eine Belastung des kollagenen Bindegewebsnetzes in wechselnder Belastungsrichtung und -intensität als Ziel dynamischer Dehnungen propagiert, um so der dreidimensionalen Ausrichtung des Gewebes Rechnung zu tragen und kollagenerneuernde Zellen (Fibroblasten) spezifisch zu aktivieren.

Bezüglich dieser spezifischen Effekte dynamischer oder federnder Dehnungs- oder Schwingübungen auf das menschliche Bindegewebe gibt es bisher allerdings keine randomisierten kontrollierten Studien. Aus histologisch-anatomischer Sichtweise scheint der Einsatz dynamischer anstatt statischer Dehnmethoden zum Ansprechen möglichst vieler Kollagen- und Elastinfasern sowie der Aktivierung von Bindegewebszellen allerdings durchaus sinnvoll.

Gute Evidenz gibt es hingen zu Effekten von Immobilisation und Krafttraining auf das Sehnengewebe. So führt regelmäßiges Krafttraining zu einer deutlichen Erhöhung der Kollagensynthese, während Inaktivität diese im Gegenzug reduziert und das Sehnengewebe so an Steifigkeit verliert [23]. Auf Grund der hohen Kollagensyntheserate nach exzentrischem Krafttraining oder Training mit hohen Lasten und langsamer Bewegungsgeschwindigkeit werden diese Kontraktionsformen zur Prävention und Therapie bei chronischen Sehnenbeschwerden empfohlen [24]. Ebenso sind intensive isometrisch orientierte Kontraktionen in der Lage, Veränderungen der Morphologie und Stiffness an der Achilles- und Patellasehne zu induzieren. Ebenso zeigt eine aktuelle Metaanalyse einen positiven Effekt von plyometrischem Training auf die Sehnenstiffness an der unteren Extremität [25–28].

Insgesamt scheinen also sowohl dynamische wie aktive und federnde Dehnungen und Sprungformen als auch statische Übungsformen wie isometrische Kontraktionen Effekte auf Umbauprozesse im Bereich verschiedener faszialer Gewebe zu haben.

Foam Rolling

Der grundlegende Gedanke beim Foam Rolling (FR) ist die Nachahmung einer manuellen Massage oder Behandlung zur Eigenanwendung [29]. Der Trainierende verwendet beim FR sein eigenes Körpergewicht und eine Hartschaumrolle oder andere Hilfsmittel wie Massagesticks zum Ausüben von Druck auf das zu behandelnde Gewebe. Über die Verlagerung des Körperschwerpunktes oder des Auflagepunktes des Hilfsmittels rollt der Trainierende mit entsprechender Kompression oder Intensität über das gewünschte Muskel- und Bindegewebe.

Für das FR gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Einzelstudien und auch systematischen Übersichtsarbeiten zu Parametern der Beweglichkeit, Regeneration und Leistungsfähigkeit [30–33]. Zusammenfassend lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: FR führt zu akuten Veränderungen in der Beweglichkeit, längerfristige Zugewinne sind vor allem bei Interventionen von mehr als vier Wochen und im Bereich der Oberschenkelvorder- und -rückseite zu erwarten [31]. Einen zusätzlichen Effekt auf die Beweglichkeit scheint der Einsatz von vibrierenden Hartschaumrollen zu bewirken [32], während die Kombination von FR und Stretching keinen zusätzlichen Effekt zu haben scheint [30]. Ebenso scheint FR einen positiven Effekt auf Parameter der Erholung nach sportlicher Belastung wie Muskelkater und Muskelschmerz zu haben [33].

Bezüglich der spezifischen Effekte von FR auf das Fasziengewebe gibt es bisher erst wenige Untersuchungen. Giefhahn und Kollegen konnten eine Veränderung der Beweglichkeit der thorakolumbalen Faszie nach FR am Rücken zeigen [34]. Ebenso zeigen Arbeiten der Frankfurt Faszienforschungsgruppe unter anderem einen Effekt von FR am vorderen Oberschenkel auf Parameter der Gleiteigenschaften einzelner Faszienschichten der fascia lata [35]. Inwieweit diese Ergebnisse eine praktische oder gar therapeutische Relevanz haben, lässt sich bisher allerdings noch nicht abschließend beurteilen. Die gefundenen Effekte sind allesamt eher gering, zudem waren die eingeschlossenen Probanden gesund und im Alter zwischen 18 und 40 Jahren.

Interessanterweise konnten allerdings in verschiedenen Arbeiten der Arbeitsgruppe um Helene Langevin bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen Veränderungen in der Morphologie und den Gleiteigenschaften der thorakolumbalen Faszie gezeigt werden. Ähnliche Befunde zeigen sich bei Patienten mit chronischen Nackenschmerzen [36–38]. Insgesamt scheint das Bindegewebe bei der Entstehung und Chronifizierung von Schmerzen eine wichtigere Rolle zu spielen als bisher vermutet. Entsprechend könnten FR-Anwendungen bei morphologischen Veränderungen im Bindegewebe durchaus einen positiven Effekt haben, wenngleich hierzu noch Kurz- und Langzeitstudien fehlen. Schilder und Kollegen konnten unter anderem zeigen, dass die thorakolumbale Faszie sehr viel intensiver auf chemisch induzierte Schmerzreize reagiert als beispielsweise der darunter liegende Muskel oder das darüber liegende Subkutangewebe [39]. Neuere Erkenntnisse sehen zudem die Entstehungsquelle von Muskelschmerz bei Muskelkater vielmehr im muskulären Bindegewebe als in der Muskulatur selbst [40]. Entsprechend werden bei Muskelkater auch Regenerationsmaßnahmen empfohlen, die das Bindegewebe mit einbeziehen (wie etwa FR oder Collagensupplementation).

Myofasziale Ketten

Häufig werden im Rahmen des Faszientrainings Konzepte zum Spannungsübertrag innerhalb myofaszialer Verbindungen als Grundlage von Übungs- und Trainingsgestaltung eingesetzt [20]. Entgegen einer funktionellen Kopplung einzelner Muskeln bei komplexen Bewegungsabläufen [41] wird hierbei von einer direkten anatomisch-morphologischen Verbindung einzelner Komponenten des Bewegungssystems mittels faszialer Gewebe ausgegangen, über die ein longitudinaler Spannungsübertrag möglich sein soll.

Der letzte wissenschaftliche Beleg solcher myofaszialer Verbindungen und eines entsprechenden Kraftübertrages im menschlichen Körper stand lange Zeit noch aus. Wissenschaftlich gut untersucht ist ein Kraft- und Spannungsübertrag quer zur Muskelzugrichtung, etwa zwischen benachbarten Muskeln innerhalb eines faszialen Kompartiments [42]. In einer systematischen Übersichtsarbeit zur Existenz von sechs der propagierten myofaszialen Verbindungen konnte die Frankfurter Faszienforschungsgruppe insgesamt 62 relevante Studien einschließen [43].

Insgesamt zeigte sich eine gute Evidenz für die Existenz von drei der untersuchten myofaszialen Ketten (Superficial Back Line – oberflächliche Rückenlinie; Back Functional Line – funktionelle Rückenlinie; Front Functional Line – Funktionelle Frontallinie). Ebenso ergab ein aktuelles Review von Wilke und Krause Evidenz für verschiedene myofasziale Verbindungen im Bereich der oberen Extremität [44].

Die reine morphologische Existenz dieser Verbindungen impliziert allerdings nicht notwendigerweise eine praktische Relevanz im lebenden menschlichen Körper, da dies im Umkehrschluss nicht zwangsläufig einem Spannungs- oder Kraftübertrag gleichzusetzen ist. In einer weiteren Übersichtsarbeit zeigte sich bzgl. einer möglichen Kraftübertragung zwischen allen Stationen der oberflächlichen Rückenlinie zumindest moderate Evidenz, für die beiden funktionellen Linien ergab sich kein konsistentes Bild [45].

Auch neue in vivo Studien geben Hinweise auf eine Übertragung von Kräften, zumindest innerhalb der oberflächlichen Rückenlinie. In einer aktuellen Studie konnte ultraschallbasiert bei passiver Sprunggelenksbewegung eine Kraftübertragung auf die Oberschenkelrückseite gezeigt werden. Ebenso ließ sich die Beweglichkeit der Halswirbelsäule durch entfernte Dehnübungen der Waden- und hinteren Oberschenkelmuskulatur in gleichem Maße verbessern wie durch lokale Dehnübungen des Nackens und eine FR-Anwendung an der Plantarfaszie verbesserte die sit-and-reach Leistung [46–48]. Eine Kraftübertragung über myofasziale Ketten liefert einen möglichen, allerdings nicht den einzigen Erklärungsansatz für diese Befunde. Hinzu kommt, dass solche entfernt auftretenden Effekte auch außerhalb myofaszialer Leitbahnen auftreten, nach Dehnungsübungen etwa auch in andere Bewegungsrichtungen als innerhalb der myofaszialen Kette erwartet [47], zwischen der rechten und linken Körperhälfte [49] oder auch der oberen und unteren Extremität. Daher werden als mögliche Ursachen für diese nicht-lokalen Effekte eine veränderte globale Dehntoleranz [50, 51] sowie Veränderungen hinsichtlich der Wahrnehmung von Muskellänge oder Muskelspannung [49] diskutiert.

Praktische Implikationen

Welche praktischen Implikationen für die Therapie- und Trainingspraxis lassen sich aus den vorliegenden Ergebnissen ableiten? Zum einen scheint das Bindegewebe bei chronischen Schmerzen und bei Muskelkaterschmerz eine Rolle zu spielen. Entsprechend sollte dies im Rahmen der Diagnostik sowie der Therapie chronischer Schmerzpatienten Berücksichtigung finden. Inwieweit morphologische Veränderungen der Grund für oder die Folge von chronischen Schmerzen (und entsprechendem Bewegungsmangel) sind, ist bisher allerdings nicht abschließend geklärt.

Dynamische Dehnungen haben sich in der Sportpraxis schon einige Jahre etabliert und stellen einen sinnvollen Bestandteil des Warm-up vor dynamischen und schnellkraftorientierten Sportarten dar. Ebenso haben dynamische Dehnungen das Potenzial, das kollagene Bindegewebsnetz spezifisch zu belasten und entsprechende Umbauprozesse zu triggern. Zum Training des Sehnengewebes eignen sich vor allem exzentrische sowie isometrische Kontraktionen mit hoher Intensität sowie plyometrische Übungen und Sprungformen. Sinnvoll erscheint auch der Einsatz von FR im Rahmen eines Beweglichkeitstrainings vor oder als regenerative Maßnahme nach dem Sport.

Im therapeutischen Setting ist der Einsatz von FR zur Verbesserung der Beweglichkeit bei Kontrakturen, Bindegewebsveränderungen oder Schmerzpatienten bisher allerdings kaum untersucht. Eine nicht randomisierte, retrospektive Kohortenstudie aus Japan zeigte nach FR eine Verringerung von Schmerzen bei Patienten mit Hüftarthrose [52], ein RCT bei Patienten mit Plantarfaszitis zeigte bei FR und statischem Dehnen ähnliche Effekte in Bezug auf Schmerz und Funktion, allerdings wurde die Druckschmerzschwelle an der Wade durch FR stärker beeinflusst als durch Dehnen [53]. Aus klinischer Sicht lässt sich FR als ein weiteres hilfreiches Tool zum Training von Beweglichkeit und als Regenerationsmaßnahme sinnvoll einsetzen.

Bezüglich des möglichen Spannungsübertragens innerhalb myofaszialer Verbindungen lassen sich einige Implikationen insbesondere für die Therapie- und Trainingspraxis ableiten. Kontrakturen im Bereich der Wadenmuskulatur und der Achillessehne sind beispielsweise assoziiert mit dem Entstehen einer Plantarfaszitis an der Fußunterseite [54, 55]. Entsprechend liefert die Weiterleitung von Spannung zwischen diesen Strukturen einen möglichen Erklärungsansatz und legt das Miteinbeziehen der Wadenmuskulatur in die Therapie der Plantarfaszitis nahe [56]. Ebenso erscheint der Zusammenhang von Dysbalancen der Bauch- und Hüftadduktorenmuskulatur und der Entstehung von Leistenschmerzen bei Sportlern [57] ein Ansatzpunkt für myofaszial orientierte Behandlungsstrategien.

Dr. phil. Frieder Krause, Institut für onkologische Sport- und Bewegungstherapie Universitäres Centrum für Tumorerkrankungen (UCT), Krankenhaus Nordwest, Frankfurt/M., E-Mail: krause.frieder@khnw.de

Die Literaturangaben finden Sie hier.