Interview mit Dr. med. Klaus-Wolfgang Richter, Vorsitzender der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, und Michael Thomas Knoll, stellvertretender Vorsitzender der VV, über die Situation in der Niederlassung. Die Vertreterversammlung ist das höchste Gremium der KVH, bestehend aus Ärzten und Psychotherapeuten. Zu ihren vielfältigen Aufgaben zählt, zusammen mit dem hauptamtlichen Vorstand, Beschlüsse zu Satzung, Haushalt, Honorarverteilung und anderen wichtigen Themen der KVH zu fällen. Unterstützt wird die VV hierbei von Hauptausschuss und Fachausschüssen.

Fachärztliche Kolleginnen und Kollegen berichten, dass ihre Stimmung derzeit extrem schlecht sei: zurückgehende Erlöse, eklatanter MFA-Mangel, überbordende Bürokratie. Wer könne, versuche sobald wie möglich aus der KV-Versorgung auszuscheiden. Wie schätzen Sie die Situation der fachärztlichen ambulanten Versorgung ein?

Dr. med. Klaus-Wolfgang Richter: Die Stimmung ist gedrückt. Gott sei Dank steigen die Gehälter der Medizinischen Fachangestellten und das ist ihrer Tätigkeit auch angemessen. Aber wir Niedergelassenen können diesen Anstieg wie auch die sonstigen steigenden Nebenkosten in keiner Weise kompensieren. Alles Dinge, die sich auf die Stimmungslage auswirken. Nun soll die Entbudgetierung für Hausärztinnen und Hausärzte kommen, aber was bringt sie ihnen tatsächlich? Auch für den Fachärztebereich wäre eine Entbudgetierung notwendig. Wir haben schon jetzt ein Nachwuchsproblem und werden bis 2030 einen hohen Nachbesetzungsbedarf haben, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Sieht die Lage in der hausärztlichen Versorgung durch die Entbudgetierung besser aus?

Michael Thomas Knoll: Tatsächlich sind auch wir Hausärztinnen und Hausärzte noch nicht entbudgetiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Entbudgetierung zwar angekündigt, aber wohl nur, um die Gemüter zu besänftigen. Um es auf den Punkt zu bringen: In Hessen profitieren wir davon überhaupt nicht. Auch sind wir als Hausärzteverband bei dem Thema völlig übergangenen worden. Eigentlich haben wir große Erwartungen in Lauterbach gesetzt, da er vor seinem Ministeramt immer zu unseren Haus­ärzte­tagen kam. Aber die Erwartungen haben sich nicht bestätigt.

Bis Ende Januar wollte Lauterbach entsprechende Gesetze herausbringen. Bis jetzt hat er noch nichts vorgelegt. Ein Politiker muss Ideen entwickeln und öffentlich machen, aber anschließend auch umsetzen. Außerdem muss ihm klar sein, dass im Gesundheitssystem Versorgung nur gemeinsam funktioniert. Dass sich Lauterbach auf den stationären Bereich konzentriert, ist ein Spaltungsversuch der Versorgungsebenen.

Dr. med. Klaus-Wolfgang Richter: „Diese Reform ist eine Pseudoreform.“

Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der Krankenhausreform?

Richter: Die Reform hängt schwer in der Luft, da kommt nichts rüber. So sollen Krankenhäuser, die einem gewissen Level nicht entsprechen, schließen oder umfunktioniert werden. Da sich die Länder dagegenstemmen, kann das Vorhaben nicht funktionieren. Die paar Milliarden, die in das System fließen sollen, werden versickern. Mit einem Wort: Diese Reform ist eine Pseudoreform.

Was die Transparenzreform angeht, gibt es davon viele. Man weiß nie, was am Ende dabei herauskommt.

Knoll: Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung kann ich sagen, dass wir gute Schnittstellen mit den Krankenhäusern haben. Durch die Reform wird jedoch alles durcheinandergebracht.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Notfallversorgung ein?

Richter: Auch die Notfallversorgung läuft hier in Hessen ausgesprochen gut. Mit der Reformierung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes Hessen (ÄBD) wollen wir die Kollegen entlasten und junge Kollegen hinzugewinnen. Die meisten ÄBD-Zentren sind direkt an Krankenhäuser angegliedert, was prima funktioniert. Die Situation der Poolärzte sehen wir hier in Hessen entspannt. So ist die Vergütungssystematik in Hessen eine andere als in Baden-Württemberg. Dort hatte ein zahnärztliches Mitglied der Kassenzahnärztlichen Vereinigung gegen ein Sozialgerichtsurteil vor dem BGH geklagt, wonach Ärztinnen und Ärzte, die ab und zu in Notfallpraxen aushelfen, unter bestimmten Umständen sozialversicherungspflichtig seien. Doch anders als in Baden-Württemberg, wo ein fester Stundensatz ohne die Möglichkeit zur eigenen Abrechnung gezahlt wird, wird in Hessen nach Leistung und nicht nach Stundenlöhnen vergütet. Eins steht fest: Wir brauchen die Freelancer.

Was können wir tun, um den MFA-Mangel zu lindern?

Knoll: Erst kürzlich sagte mir eine Medizinische Fachangestellte, wie wichtig es sei, für vernünftige Rahmenbedingungen zu sorgen. Gerade in puncto Kinderbetreuung hapere es überall. Die Strukturen seien familienfeindlich, was dazu führe, dass viele MFA nicht in ihrem Beruf arbeiten könnten. Wir müssen daher schauen, wie wir hier unterstützen können. Mir erscheint es sinnvoll, wenn sich mehrere Praxen zusammentun und gemeinsam eine Kinderbetreuung organisieren. Vielleicht kann auch eine Betreuerin in einer Praxis angestellt werden und bei anderen aushelfen.

Richter: Medizinische Fachangestellte sind ein rares Gut, das wir hegen und pflegen müssen. Dabei ist es durchaus vorstellbar, beispielsweise an der Anmeldung einer Praxis, fachfremdes Personal einzusetzen und bei einigen Tätigkeiten anzulernen.

Wie sieht aktuell die Zusammenarbeit zwischen Landesärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung aus?

Richter: Bei den Themen EHV1 und Privatärzte im ÄBD könnte die Zusammenarbeit besser sein. So müssten die Notdienstsatzung der Kammer und die Bereitschaftsdienstordnung der KVH teilweise geändert werden, damit Privatärztinnen und -ärzte herangezogen werden können. Das muss rechtssicher gestaltet werden.

Die Landesärztekammer strukturiert gerade ihre Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung um. Wie können wir hier besser kooperieren?

Knoll: Zusammenarbeit ist auf jeden Fall gut. Derzeit ändert sich ja die ganze Fortbildungslandschaft. Wir brauchen etwa einmal im Jahr eine Fortbildung für Disease-Management-Programme (DMP). Derzeit probieren wir es digital von zu Hause aus. Aber es gibt Themen, bei denen sich nicht alles digital erarbeiten lässt, und Kurse, die teils digital, teils in Präsenz angeboten werden, sinnvoll sind.

Funktioniert die ambulante Weiterbildung im fachärztlichen und hausärztlichen Bereich?

Richter: Im hausärztlichen Bereich ist die ambulante Weiterbildung ausreichend und unbudgetiert geregelt. Aber wie sieht es im fachärztlichen Bereich aus? Bei nur 151 geförderten Stellen für die fachärztliche Weiterbildung für Hessen ist es schwierig, allen Wünschen nach fachärztlichen Weiterbildungsstellen im ambulanten Bereich gerecht zu werden. Schon jetzt reichen die geförderten Stellen nicht mehr aus.

Dass die Kinderärzte bei der Weiterbildung bei uns im fachärztlichen Bereich angesiedelt sind, ist kritisch. Deren Weiterbildung sollte auch von der Versorgungsebene getragen werden, bei der sie honorartechnisch gesehen auch angesiedelt sind, nämlich unbudgetiert im hausärztlichen Bereich.

Bemerkenswert ist auch, dass seit 2016 nur ein Viertel der ambulant Weitergebildeten in der vertragsärztlichen Versorgung durch Fachärzte ankommt. Der Großteil verschwindet sozusagen vom Radar.

Knoll: Die Förderung des hausärztlichen Bereichs ist soweit in Ordnung, aber unter dem Strich wäre auch hier mehr Geld angebracht. Wenn wir mehr Geld bekämen, könnten wir auch mehr Leute weiterbilden.

Interview: Dr. med. Peter Zürner, Katja Möhrle

1 Als einzige Kassenärztliche Vereinigung in Deutschland bietet die Kassenärztliche Vereinigung Hessen eine eigene Altersversorgung für niedergelassene Vertragsärztinnen und -ärzte: die Erweiterte Honorarverteilung (EHV). Knapp 10.000 Mitglieder der KVH zahlen ein, damit knapp 8.000 Zahlungen aus der EHV empfangen können.