Fünf Jahre sind seit unserem ersten Interview mit Ihnen als damals frischgebackenen Hessischen Minister für Soziales und Integration vergangen. Am Ende der Legislaturperiode möchten wir nun ein Resümee mit Ihnen ziehen. Was waren für Sie die wichtigsten Ereignisse und Meilensteine in Ihrer Amtszeit?

Kai Klose, Hessischer Minister für Soziales und Integration: Gesundheitspolitisch waren es fünf besondere Jahre, die jetzt zu Ende gehen. Einen großen Teil der Legislaturperiode hat uns die Bewältigung der Corona-Pandemie beschäftigt. Die Pandemie hat bei allen Herausforderungen auch den positiven Effekt gehabt, dass die Akteure des Gesundheitswesens enger zusammengerückt sind und eine neue, sektorenübergreifende Zusammenarbeit möglich wurde. Auf das in dieser Zeit gewachsene Vertrauen können wir heute aufbauen.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir – Landesärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung und weitere Partner im Gesundheitswesen – uns Anfang 2020 hier im Ministerium getroffen und gefragt haben: Was macht jetzt wer wie schnell? Gemeinsam sind wir zu tragfähigen Lösungen gekommen.

Die niedergelassene Ärzteschaft war in der Coronakrise der Schutzwall für die Klinken und wurde von ihnen auch als solcher anerkannt. Anfangs haben wir alle noch bang nach Bergamo geblickt, wo die Krankenhäuser der hohen Patientenzahl kaum mehr standhielten. Auch dank der guten Zusammenarbeit, der Steuerung der Klinikkapazitäten über meinen Planstab stationär sowie des großen Einsatzes der Arztpraxen haben wir es in Hessen geschafft, eine Überlastung der Kliniken zu jeder Zeit zu vermeiden.

Welche Ergebnisse Ihrer Amtszeit machen Sie zufrieden?

Klose: Wenn ein Thema die Legislaturperiode so stark dominiert wie Corona, besteht die Gefahr, dass andere erfolgreich bearbeitete Themen in den Hintergrund geraten. Dabei gibt es davon einige. So konnte etwa die Geburtshilfe in Hessen gestärkt werden. Der Runde Tisch Hebammen hat in diesem Bereich wichtige Projekte vorangebracht.

Außerdem haben wir die sektorenübergreifende Zusammenarbeit intensiviert. Ein gutes Beispiel dafür ist das hessische SaN-Projekt, „Sektorenübergreifende ambulante Notfallversorgung“ – ein Modellprojekt zur Notfallversorgung bei dem bereits vorhandene Strukturen miteinander vernetzt werden. Zu den Kooperationspartnern zählen neben dem Sozialministerium u. a. die Landesärztekammer Hessen, die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, die Hessische Krankenhausgesellschaft, aber auch die Rettungsdienste, Leitstellen und die Kassen.

Ein anderes wichtiges Thema, das wir gemeinsam wieder oben auf die Agenda gesetzt haben, ist die Organspende.

Ich bin unter dem Strich wirklich sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, neben der Pandemie auch die anderen Themen voranzutreiben. Das war auch ein Kraftakt für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Und was hat möglicherweise nicht so gut funktioniert?

Klose: Corona hat uns auch gezeigt, wie wichtig die gute und klare Kommunikation aller Beteiligter auch von komplexen Sachverhalten ist. Unsere Entscheidungen hatten direkte Auswirkungen auf das Leben aller Menschen. Rückblickend muss man kritisch feststellen, dass der Anspruch, hier immer klar zu kommunizieren, manchmal sehr kompliziert umzusetzen war.

Wir haben in dieser Zeit sehr eng mit der Wissenschaft kooperiert, die an ein neues Phänomen, wie es das Coronavirus damals war, ganz anders herangeht, als wir es gewohnt sind: Wissenschaftler*innen probieren aus, setzen neu an und werfen auch mal eine These aufgrund neuer Erkenntnisse über den Haufen. Ganz anders als Politiker*innen, die darauf programmiert sind, immer den Eindruck zu erwecken: ,Wir wissen, wo es lang geht – folgt uns!’ Diese Prinzipien sind während der Pandemie aufeinandergeprallt. Hier haben wir alle dazugelernt.

Wir können jedenfalls sehr glücklich darüber sein, dass wir in diesem Bereich in Hessen sehr gute Medizinerinnen und Mediziner sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, die ihr Fachwissen auch in eine verständliche Sprache übersetzen können.

Wir haben außerdem gelernt, dass Länder, die über eine dem Gesundheitsministerium nachgeordnete Behörde verfügen, in einigen Punkten effektiver und effizienter reagieren konnten. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis haben wir das Hessische Landesamt für Gesundheit und Pflege (HLfGP) errichtet, um in künftigen Krisen noch flexibler agieren zu können.

In dem Interview zu Beginn der Legislaturperiode hatten Sie bereits die Notwendigkeit einer Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) hervorgehoben. Dazu soll die Umstrukturierung des HLPUG (Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen) in das HLfGP1 einen wichtigen Beitrag leisten. Unser Eindruck ist allerdings, dass es in der neuen Behörde bei der Bearbeitung wichtiger Vorgänge holpert, so etwa bei der Wartezeit von ausländischen Ärztinnen und Ärzten auf die Erteilung ihrer Berufserlaubnis.

Klose: Jede Umstrukturierung ist mit Reibungsverlusten verbunden. Ich bin davon überzeugt, dass es durch den Personalaufbau, der inzwischen stattgefunden hat, vorangeht. So wie es im Interesse der betroffenen Ärztinnen und Ärzte ist, ist es auch in unserem, dass Berufserlaubnisse zügig erteilt werden.

Mit der neuen Gesundheitsbehörde, die ausdrücklich auch von den Gesundheitsämtern befürwortet wurde, werden wir in der Lage sein, der nächsten Krise schlagkräftiger zu begegnen. Zwei neue Abteilungen setzen darüber hinaus besondere Akzente: die für das öffentliche Gesundheitswesen, in der gemeinsame Standards entwickelt werden sowie die Abteilung für Datenverarbeitung im Gesundheitswesen. Dort wollen wir anonymisierte Daten besser für Wissenschaft und Forschung nutzbar machen. Im HLfGP greifen die Prozesse zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdiensts ineinander.

Wie wichtig uns die Förderung des ÖGD ist, zeigt zudem die Einrichtung unserer Stiftungsprofessur für den ÖGD an der Universität Frankfurt.

Welche Integrationsangebote haben Sie in Hessen angestoßen? Werden Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Hessen leben, inzwischen besser in die Gesellschaft einbezogen als noch vor einigen Jahren?

Klose: Bereits in meiner Zeit als Staatssekretär und auch jetzt als Hessischer Sozial- und Integrationsminister war es mir wichtig, das Verständnis für Integration als Daueraufgabe für beide Seiten – Aufnahmegesellschaft und Zuwanderer – zu verstärken.

In der zurückliegenden Legislaturperiode haben wir den Integrationsplan erneuert. Wir haben den erfolgreichen partizipativen Ansatz in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Integrationskonferenz fortgeführt und einen weiteren integrationspolitischen Schwerpunkt des Koalitionsvertrags umgesetzt, der den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung umfasst. Im Frühjahr 2023 wurde der „Integrationsplan 2.0“ durch das Kabinett beschlossen; er bündelt die politischen Zielsetzungen und Maßnahmen der Landesregierung zu einem langfristig ausgelegten Handlungskonzept und macht deutlich, was wir von allen hier lebenden Menschen erwarten.

Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Zahl der Geflüchteten stark gestiegen. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration verantwortet auch die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung; aktuell leben dort rund 10.000 Personen an unterschiedlichen Standorten in Hessen. Wir sorgen dafür, dass sie menschenwürdig untergebracht sind und eine Erstversorgung erhalten. Gemeinsam mit den Kommunen und vielen Ehrenamtlichen haben wir das bisher sehr gut hinbekommen.

Aktuell steht für die Bundespolitik die Krankenhausreform im Vordergrund. Wie bewerten Sie das aus hessischer Perspektive?

Klose: Es ist wichtig und richtig, dass die Krankenhausreform jetzt erfolgt. Problematisch ist, dass der Bund sich weigert, ein Vorschaltgesetz zu erlassen, das die Krankenhäuser in dieser Phase stützt, bis die Reform greift. Viele Krankenhäuser befinden sich bereits jetzt in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Diese Finanzierung ist Aufgabe des Bundes. In meiner Amtszeit hat das Land Hessen seine Investitionskostenförderung fast verdoppelt und steht damit an der Spitze der Länder.

Für die hessische Ärzteschaft ist es wichtig, dass die ambulante Facharztschiene erhalten bleibt und die Kooperation ambulant – stationär mit allen Zwischenstufen gut reguliert wird. Sehen Sie die Voraussetzungen dafür in Hessen gegeben?

Klose: Hessen hat von Anfang darauf gedrungen, nicht nur die Krankenhäuser zu betrachten, sondern auch die Auswirkungen auf den Rettungsdienst, die Niedergelassenen und vor allem die sektorenübergreifende Zusammenarbeit mitzudenken.

Hier können wir in Hessen auf erfolgreiche Projekte verweisen wie unser gemeinsames SaN-Projekt. Ein weiteres Beispiel ist der Medibus, der als mobile Arztpraxis die medizinische Grundversorgung besonders in ländlichen Gebieten unterstützt.

Künftig wird es notwendig sein, dass Behandlungen von Notfällen und Operationen zunehmend auch ambulant bzw. sektorenübergreifend erfolgen. Im Oktober habe ich mit dem Vorstandsvorsitzenden der KVH, Frank Dastych, ein Facharztzentrum besucht und mich über die Möglichkeiten ambulanter Eingriffe informiert.

Wie sehen Sie die Zukunft der ambulanten Versorgung?

Klose: Die Medizin der Zukunft wird ambulanter sein. Gleichzeitig nimmt die Bereitschaft der Ärzteschaft, sich in einer Einzelpraxis niederzulassen, erkennbar ab. Wir werden in Hessen daher künftig vermehrt Medizinische Versorgungszentren und regionale Gesundheitszentren sehen, die medizinische Leistungen anbieten. Außerdem wird es eine stärkere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung geben.

Welche Rolle spielt für Sie die Zusammenarbeit von Politik und ärztlicher Selbstverwaltung? Aus Sicht der Landesärztekammer war die Zusammenarbeit in der Coronapandemie ausgesprochen gut. Auch halten wir die Novellierung des Heilberufsgesetzes – hier die zweite Vizepräsidentin/der zweite Vizepräsident im Präsidium der Landesärztekammer Hessen, um die ehrenamtliche Arbeitslast besser zu verteilen – für einen wichtigen Schritt. Gibt es aus Ihrer Sicht noch Verbesserungspotenziale bei der Zusammenarbeit?

Klose: Ich habe die gute Zusammenarbeit mit der ärztlichen Selbstverwaltung als ein großes Pfund in dieser Legislaturperiode erlebt. Es gab keine harten Konfrontationen, vielmehr wurde gemeinsam Verantwortung getragen, um die Pandemie zu bewältigen. Auch die Kooperation von Politik und Wissenschaft war ausgezeichnet, wie bei unserem Symposium im Juli in Frankfurt, bei dem wir mit Expert*innen die Lehren aus der Corona-Krise diskutiert haben, nochmals deutlich wurde. Alle waren bereit, mitzuziehen und Brücken zu bauen. Diese Bereitschaft bezog auch die anderen Akteure im Gesundheitswesen mit ein.

In guter Erinnerung habe ich auch das gemeinsam von der Landesärztekammer Hessen und der Ärztekammer von Salerno veranstaltete Symposium im Jahr 2022, das die Bewältigung der Coronakrise in der italienischen Region Kampanien und in Hessen beleuchtete.

Gemeinsam haben sich Politik und Landesärztekammer von Anfang an auch beim Thema Organspende engagiert und in diesem Jahr zu einem Runden Tisch eingeladen. Am 24. November 2023 habe ich für Hessen im Bundesrat für die Widerspruchslösung geworben. Damit schließt sich am Ende der Legislaturperiode ein weiterer Kreis.

Mit welchen Veränderungen in der Gesundheitspolitik rechnen Sie aufgrund der neuen politischen Konstellation in Hessen? Welche Aufgaben sehen Sie auf Ihre Nachfolgerin oder Nachfolger zukommen? Und welche Planungen haben Sie persönlich für die Zukunft?

Klose: Zu den bestimmenden Themen der nächsten Jahre gehören sicherlich die Krankenhausreform und die Reform der Pflegeversicherung sowie weiterhin die Digitalisierung. Der Nachfolge hinterlasse ich sicher keine klugen Ratschläge für die Zukunft.

Was ich fest zusage, ist, dass wir eine möglichst bruchstellenfreie Übergabe an die neue Ministerin bzw. den neuen Minister gewährleisten, sofern das gewünscht wird.

Meine künftigen Schritte nach 20 Jahren hauptberuflicher Politik stehen noch nicht fest. In einer so langen Zeit haben viele Menschen und Interessen das Nachsehen. Ich möchte eine umso abgewogenere Entscheidung treffen.

Interview: Katja Möhrle

Biografisches zu Kai Klose

Der aus dem Amt scheidende hessische Minister für Soziales und Integration Kai Klose ist nicht mehr zur Landtagswahl angetreten.

Klose, Jahrgang 1973, ist relativ bald in die Parteiarbeit für Bündnis 90/Die Grünen eingestiegen, als er sein Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien für die Fächer Deutsch, Politik und Wirtschaft abgeschlossen hatte. Er leistete außerdem Zivildienst. Seit 1995 Mitglied der Grünen, nahm er zunächst Mandate und Ämter in seiner Heimatgemeinde Waldems und im Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises wahr. Von 2005–2011 war er Politischer Geschäftsführer der Grünen in Hessen, von 2013 bis 2019 deren Vorsitzender. Als Abgeordneter in den Hessischen Landtag wurde er von 2009 bis 09/2017 gewählt und wieder ab Januar 2019. Seitdem war er Hessischer Minister für Soziales und Integration.

Zuvor war er von Oktober 2017 bis Januar 2019 Staatssekretär und Bevollmächtigter für Integration und Antidiskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI).

Diese Themen haben ihn auch als Staatsminister des HMSI begleitet, zusammen mit dem Gesundheitsressort und Gleichstellungspolitik über alle Gendergrenzen hinweg. Er lebt mit seinem Ehemann in Idstein.  (asb)

1 Das HLfGP (Hessisches Landesamt für Gesundheit und Pflege) ist eine dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration nachgeordnete Behörde. Sie nimmt Vollzugsaufgaben im Bereich Gesundheit und Pflege wahr. Zum 01.01.2023 wurden darin das Hessischen Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG ) und weitere Abteilungen der Regierungspräsidien zusammengefasst.