Während die SARS-CoV-2-Pandemie mit unzähligen Beiträgen, Talkshowrunden und Sondersendungen unausweichlich im Fokus der Öffentlichkeit stand, entwickelt sich eine andere Pandemie – größtenteils abseits der öffentlichen Wahrnehmung – zu einer immer bedrohlicheren Gesundheitskrise. Die Rede ist von (multi-) resistenten Erregern, gegen die das menschliche Arsenal an Antibiotika immer mehr zum zahnlosen Tiger zu werden droht. Es wird geschätzt, dass 2019 weltweit mehr als 4,95 Millionen Menschen im Zusammenhang mit und 1,27 Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Erregern verstarben. Prognosen zeichnen ein noch düsteres Bild für die Zukunft.

Über den Stand der Wissenschaft und wie man diesem Problem begegnen muss, referierten und diskutierten Experten beim 160. Bad Nauheimer Gespräch Ende Oktober in der Landesärztekammer Hessen in Frankfurt unter dem Titel „One Health – Antibiotika und resistente Erreger in Tier, Mensch und Umwelt“. Geladen waren Prof. Dr. med. vet. Melanie Hamann, Fachtierärztin für Pharmakologie und Toxikologie von der Justus-Liebig-Universität Gießen, Dr. med. Peter Walger, Arzt für Innere Medizin und Intensivmedizin, Infektiologe und Antibiotic Stewardship-Experte sowie Prof. Dr. med. Dr. hc. Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).

Mehr Regulierung zeigt Erfolge

Nachdem Moderatorin Prof. Dr. med. Ursel Heudorf kurz in das Thema und die Geschichte von Antibiotika einführte, referierte zunächst Prof. Dr. Melanie Hamann zu den veterinärmedizinischen Aspekten. Es gebe ein Spannungsfeld und verschiedene Gesetze, die Tierärzte bei der Behandlung mit Antibiotika beachten müssten: Das Tierarzneimittelrecht, den Tierschutz, das Tierseuchenrecht, den gesundheitlichen Verbraucherschutz und die Interessen der Tierhaltenden sowie der Öffentlichkeit, so Hamann. Antibiotic Stewardship (ABS) sei in der Tiermedizin eine Mischung aus geringem programmatisch und einem großen Anteil rechtlichen Vorgaben. So gebe es seit 2000 eine Leitlinie der Bundestierärztekammer. Zudem gebe es harte rechtliche Vorgaben insbesondere für Tiere in der Landwirtschaft: Seit 2014 im Arzneimittelgesetz und seit 2022 in einem eigenen Tierarzneimittelgesetz. Die Idee dahinter sei, eine Verbesserung der Tierhaltung zu forcieren und dadurch weniger kranke Tiere zu bekommen – so könne der Antibiotikaeinsatz reduziert werden. Für Colistin, Fluorchinolone und Cephalosporine der dritten und vierten Generation seien besondere Verschärfungen in das Antibiotika-Minimierungskonzept aufgenommen worden. Damit solle die Anwendung dieser Antibiotika mit kritischer Bedeutung auf das unvermeidbare Minimum reduziert werden.

Die Gesetze zeigen derweil Wirkung: Seit 2011 habe sich der Antibiotikaverkauf von Herstellern an Tierärzte innerhalb von zehn Jahren um 68 Prozent in Deutschland reduziert. Laut Hamann dürften schon länger keine Antibiotika als Prophylaxe eingesetzt werden, höchstens als Metaphylaxe, dass heißt, wenn schon mehrere Tiere in einem Bestand erkrankt sind.

Zukünftig solle zudem EU-weit der Einsatz von Antibiotika ab 2025 auch im Heimtierbereich umfassend erfasst werden. Auch solle die Abgabemenge noch weiter reduziert werden.

Zum Abschluss brachte Hamann noch die gesellschaftliche Ebene mit ein. Sie zeigte zwei Angebote aus einem Prospekt eines Supermarktes: Ein Kilo Schweinefleisch gab es für 3,99 Euro und ein Kilo Champignons für 5,30 Euro. „Da müssen wir auch die Gesellschaft mitnehmen, denn eine Verbesserung der Tierhaltung ist mit Kosten verbunden“, sagte Hamann.

Stille Pandemie

Schon der Entdecker der Antibiotika im Jahr 1928, Alexander Fleming, habe auf Resistenzen von Bakterien aufmerksam gemacht, leitete der nächste Referent, Dr. med. Peter Walger, seinen Vortrag ein. Schon ein Jahr nach der Zulassung von Penicillin seien die ersten Resistenzen nachgewiesen worden, in den 1970ern hätten die Resistenzen im stationären Sektor bei Staphylococcus aureus bereits bei knapp 100 % gelegen. Im ambulanten Bereich habe dies zeitlich versetzt stattgefunden. „Heute wissen viele Mediziner gar nicht, dass man Staphylococcus aureus mit Penicillin behandeln konnte, dass ist mittlerweile eine gewöhnliche Resistenz, die historisch in einem kurzen Zeitfenster entstand“, sagte Walger.

Zu dem Problem mit den Resistenzen komme, dass ab den 1970ern praktisch keine neuen, relevanten Antibiotikaklassen gefunden worden seien, lediglich Derivate von ähnlichen Präparaten. Die Erfahrung, dass ein Erreger gegen ein Antibiotikapräparat resistent sei, er gegen alle anderen Antibiotika dieser Klasse ebenfalls weitgehend resistent sei, habe man ebenfalls schon in den 1970ern gemacht. Dieses Jahrzehnt werde wegen seiner vielen Neuentdeckungen auch das „Golden age of antibiotics“ genannt.

In den folgenden Jahrzehnten habe man das Problem der multiresistenten Bakterien erkannt. Die wichtigsten nosokomialen bakteriellen Erreger sind mit dem Akronym „ESKAPE“ zusammengefasst. Gemeint sind:

Enterococcus faecium, Staphylococcs aureus, Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter-Spezies.

Das Besondere sei ihre fakultativ pathogene Eigenschaft: Die Patienten sind bereits besiedelt und werden erst durch ein weiteres Ereignis krank – beispielsweise kommen die Bakterien durch einen Schnitt in den Körper. Dies sei der Unterschied zu den obligat pathogenen Erregern wie beispielsweise SARS-CoV-19, bei dem die Patienten innerhalb kürzester Zeit nach Kontakt erkranken. Diese Eigenschaft müsste bei der Prävention von Infektionen bedacht werden, so Walger. Derzeit (Daten von 2019) sterben rund 1,27 Millionen Menschen weltweit an multiresistenten Erregern, 4,95 Millionen sterben mit diesen Erregern. Prognosen gehen von bis zu zehn Millionen Toten im Jahr 2050 aus. Über 70 Prozent der aktuellen Todesfälle seien auf Infektionen in Kliniken zurückzuführen. In Europa gebe es ein Nord-Süd-Gefälle und ein West-Ost-Gefälle. Deutschland gelte noch als Niedrigrisikoland. Dennoch habe man in Deutschland rund 3.300 Tote jährlich durch Carbapenem-resistente Keime.

Die Antibiotikaresistenzen seien in der Tat eine stille Pandemie, im Sinne, dass die initiale Verbreitung durch eine Besiedelung und Kontamination erfolge und erst später ausbrechen könne. Das Präventionspotenzial bei dieser Pandemie sei extrem hoch, das sich aus der Synthese von guter Infektiologie und Hygiene zusammen- setze.

Kontamination in der Klinik

Prof. Dr. med. Dr. hc. Martin Exner stellte das Forschungsprojekt HYREKA (Hygienisch-medizinische Relevanz und Kontrolle Antibiotika-resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern und deren Bedeutung in Rohwässern) vor. „Moderne Medizin ist ohne Antibiotika nicht möglich“, betonte Exner die Dringlichkeit des Themas, „hier müssen wir regulieren, denn Regulierung ist das Therapeutikum des Hygienikers“. Wo die größten Problembereiche für antibiotikaresistente Keime sind, war Forschungsobjekt des Projektes. Dazu untersuchte die Forschergruppe verschiedene Abwässer. Dazu seien nicht nur Proben aus den Abwässern genommen worden, sondern man habe beispielsweise auch in Patientenzimmern an verschiedenen Orten Proben genommen und diese kulturell, genetisch und chemisch auf Keime und Antibiotikarückstände untersucht. Ergebnis: Besonders die sanitären Anlagen in Kliniken waren betroffen. In Siphons seien Antibiotikarückstände von Carbapenemen in therapeutisch wirksamen Konzentrationen gefunden worden. Generell seien diese Rückstände in den Abwässern der Kliniken verstärkt gefunden worden. Das sei dadurch deutlich geworden, als man Proben aus einer Kläranlage genommen habe, die nur kommunale Abwässer reinigte und einer Kläranlage, die auch Klinikabwässer reinigte. Enorme Problemstellen waren auch Toiletten in Flugzeugen. Resistenzen gegen sensible Antibiotikaklassen seien bis auf eine Probe nicht in landwirtschaftlichen Abwässern gefunden worden. Eine der Kernbotschaften: Die Kliniken müssen in der Zukunft auch baulich anders gedacht werden, um Übertragungen im Sanitärbereich eines Krankenhauses zu reduzieren.

Lukas Reus

Antibiotic Stewardship (ABS)

Definition laut Deutscher Gesellschaft für Infektionologie (DGI): Mit ABS ist ein programmatisches, nachhaltiges Bemühen einer medizinischen Institution um Verbesserung und Sicherstellung einer rationalen Antiinfektivaverordnungspraxis gemeint. Darunter werden Strategien bzw. Maßnahmen verstanden, die die Qualität der Antiinfektivabehandlung bezüglich Auswahl, Dosierung, Applikation und Anwendungsdauer sichern, um das beste klinische Behandlungsergebnis unter Beachtung einer minimalen Toxizität für den Patienten zu erreichen. ABS-Programme, die mehrere ABS-Maßnahmen bündeln, haben einen günstigen Einfluss auf Resistenz-, Kosten- und Verbrauchsentwicklung.

Die Aufzeichnung des 160. Bad Nauheimer Gesprächs finden Sie in voller Länge in Youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=tdyWWQA5bBw