Dr. rer. nat. Katharina Bernhardt, Dr. med. Soo-Zin Kim-Wanner

Tumoren von Lunge und Pleura waren Gegenstand der fünften Landesqualitätskonferenz des Hessischen Krebsregisters. Erstmals fand die Veranstaltung im Rahmen der neuen Reihe „Onkologische Versorgungssituation in Hessen“ statt, einer Kooperation des Hessischen Krebsregisters mit dem Universitären Centrum für Tumorerkrankungen Frankfurt-Marburg, dem Universitätsklinikum Frankfurt, dem Krankenhaus Nordwest in Frankfurt, den Universitätskliniken in Marburg und in Gießen und dem Universitätsmedizinischen Centrum für Tumorerkrankungen Gießen.

Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Versorgungssituation des Lungenkarzinoms in Hessen auf Grundlage der Daten des Hessischen Krebsregisters.

Erkrankungsgeschehen Lungenkarzinom 2015–2022

Zwischen 2015 und 2022 wurden jährlich im Median 2.852 bösartige Lungentumoren (Hessen gesamt, 2015–2022: N=21.702) sowie 58 maligne Pleuratumoren (gesamt: N=451) durch hessische Einrichtungen behandelt. Das mediane Erkrankungsalter lag für das Lungenkarzinom bei 68 Jahren für Frauen und 69 Jahren für Männer, wobei in den vergangenen acht Jahren ein signifikanter Anstieg des Alters zu verzeichnen war (Frauen: 66 Jahre in 2015, 69 Jahre in 2022, Männer: 68 Jahre in 2015, 70 Jahre in 2022). Für das Pleuramesotheliom lag das Erkrankungsalter mit 77 Jahren bei Frauen und 76 Jahren bei Männern deutlich höher als beim Lungenkarzinom. So waren beim Lungenkarzinom 45 % (N=9.766) und beim Pleuramesotheliom sogar mehr als zwei Drittel (71 %, N=320) aller Patientinnen und Patienten 70 Jahre oder älter. Insgesamt erkrankten Männer häufiger an Lungen- und Pleuratumoren als Frauen. Die altersstandardisierten Erkrankungsraten lagen 2021 in Hessen bei 48,2/100.000 Männern (N=2.389 Neuerkrankungen inkl. DCO, death certificate only) und bei 32,4/100.000 Frauen (N=1.752). Der geschlechtliche Anteil an Männern war sowohl für Lungen- als auch für Pleuratumoren höher (Lunge: 59 % Männer, Pleura: 84 % Männer). Allerdings nahm der Frauenanteil beim Lungenkarzinom signifikant zu um 6 Prozentpunkte von 38 % (2015) auf 44 % (2022).

Lungentumoren traten vermehrt im rechten Lungenflügel auf (rechts: 56 %, links: 40 %, unbekannt: 4 %). Sie waren zumeist im Oberlappen lokalisiert (rechts: 44 %, links: 50 %), Malignome in Unterlappen (rechts: 25 %, links: 28 %), Mittellappen (nur rechts: 7 %) oder Hauptbronchus (rechts wie links: 6 %) kamen seltener vor.

Morphologisch gehörte der Großteil der Lungentumoren zur Gruppe der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC, 78 %, N=16.695), gefolgt von den kleinzelligen Lungenkarzinomen (SCLC, 16 %, N=3.397) und den sonstigen Tumortypen (6 %, N=1.276). Das Plattenepithelkarzinom trat mit einem medianen Erkrankungsalter von 70 Jahren etwas später auf verglichen mit dem Adenokarzinom (68 Jahre) und dem SCLC (67 Jahre; Tab. 1).

Geschlechterspezifisch konnte bei den Frauen ein höherer Anteil an Adenokarzinomen (51 % gegenüber 43 %) und an SCLC (17 % gegenüber 14 %) beobachtet werden als bei den Männern, während das Plattenepithelkarzinom beim Mann mit einem Anteil von 28 % höher lag gegenüber 17 % bei der Frau (Tab. 1). Auch die Tumorausbreitung unterschied sich zwischen den morphologischen Subgruppen. Bei 72 % (N=1.857) der Patientinnen und Patienten mit SCLC wurde die Erkrankung im fortgeschrittenen, fernmetastasierten Stadium UICC IV diagnostiziert. Beim Adenokarzinom lag der Anteil bei 59 % (N=4.502), beim Plattenepithelkarzinom noch bei 35 % (N=1.362; Tab. 1). Primär metastasierte Adenokarzinome wiesen am häufigsten Knochenmetastasen bei Erstdiagnose auf (36 % der metastasierten Fälle, N=2.039). Im Gegensatz dazu fanden sich beim Plattenepithelkarzinom häufig pulmonale Tumoraussiedlungen (33 %, N=566) und beim SCLC überwogen Lebermetastasen (41 %, N=954) bei Erstdiagnose. Im weiteren Erkrankungsverlauf traten häufig Hirnmetastasen auf bei Adenokarzinomen (31 % der Fälle mit Metastasen im Verlauf) und beim SCLC (51 %), während beim Plattenepithelkarzinom auch im Verlauf die pulmonale Metastasierung überwog (34 %).

Versorgungsstrukturen in Hessen

Die acht zertifizierten Lungenkrebszentren in Hessen verteilen sich vor allem auf das Rhein-Main-Gebiet und die Region Gießen/Marburg. In Verbindung mit den ähnlich verteilten thoraxchirurgischen und strahlentherapeutischen Standorten in Hessen ergibt sich eine regional inhomogene Versorgungslandschaft beim Lungenkarzinom (Abb. 1, nur online). Der Anteil der Personen, die im Laufe ihrer Lungenkrebserkrankung mindestens einmal Kontakt zu einer zertifizierten Einrichtung hatten, lag bei 54 %, schwankte jedoch zwischen 80 % in der Region Gießen/Marburg und 18 % in der Region Fulda/Bad Hersfeld. Die Versorgung erfolgte zudem häufig in großen Einrichtungen: Etwa 70 % (N=14.960) aller in Hessen behandelten Lungenkarzinome wurden durch nur 9 % (N=10) der meldenden Einrichtungen versorgt. Sechs dieser Häuser betreuten im Schnitt jeweils jährlich mehr als 100 Lungenkrebsneuerkrankungen, in vier Kliniken waren es mehr als 200 Fälle jährlich. Es war zu beobachten, dass vermehrt Patientinnen und Patienten aus jüngeren Altersgruppen sowie in frühen, lokal begrenzten Stadien in den Einrichtungen mit > 100 Fällen versorgt wurden. Zudem waren die außerhalb ihrer Wohnortregion behandelten Patientinnen und Patienten mit 67 Jahren im Median zwei Jahre jünger als diejenigen, die innerhalb ihrer Region versorgt wurden.

Klinische Versorgung des Lungenkarzinoms

Die Resektion des Primärtumors erfolgte bei 30 % der Patientinnen und Patienten mit einem Lungenkarzinom (Abb. 2), wobei der Anteil der Tumorresektionen vom frühen Stadium UICC I mit 70 % bis zum fortgeschrittenen Stadium UICC IV mit 15 % kontinuierlich abnahm.

In den Jahren 2017 bis 2022 zeigte sich ein Trend hin zur parenchymschonenden Resektion (Abb. 2). In 2017 erhielten in der Primärbehandlung des Lungenkarzinoms 40 % der Fälle eine gewebsschonende (Bi-)Segmentresektionen (8 %) oder einfache (Bi-)Lobektomien (32 %). In 2022 stieg der Anteil auf 55 % mit 14 % (Bi-)Segmentresektionen und 41 % einfachen (Bi-)Lobektomien. Erweiterte Bi-/Lobektomien und Pneumektomien nahmen im gleichen Zeitraum von 26 % auf 16 % ab. Zudem wurde im zeitlichen Verlauf zunehmend häufiger die videoassistierte thorakoskopische Chirurgie (VATS) eingesetzt. In 2022 wurden 39 % der primären Lungenkarzinomfälle mittels VATS reseziert. In 2017 betrug der Anteil noch 22 %. Der Anteil der parenchymschonenden Resektion (0–100 %) und der VATS variierte unter den behandelnden Kliniken (0–74 %) stark.

Aufgrund der Beschreibung verschiedener molekulargenetischer Aberrationen im Tumorgewebe von NSCLC-Tumoren konnte in den vergangenen Jahren eine Vielzahl zielgerichteter medikamentöser Tumortherapien entwickelt werden. Diese Entwicklung und die Implementierung neuer Therapeutika in der Praxis ließen sich in den Krebsregisterdaten nachvollziehen, wobei in der Regel ein Zeitraum von etwa ein bis drei Jahren zwischen der Zulassung und der Anwendung im klinischen Alltag zu beobachten war.

Ausblick

In Hinblick auf die zunehmend personalisierte Therapie des NSCLC steht eine flächendeckende molekulargenetische Diagnostik an der Basis einer optimalen Patientenversorgung. Im Rahmen der Landesqualitätskonferenz konnten anhand elektronisch vorliegender Pathologiemeldungen retrospektiv Informationen zu molekulargenetischen Aberrationen gewonnen werden. In 68 % der NSCLC-Fälle in Stadium IV wurde für die Jahre 2021 und 2022 eine entsprechende molekulare Diagnostik beobachtet. Mit der Novellierung des onkologischen Basisdatensatzes in 2021 und der technischen Umsetzung ist seit letztem Jahr die Grundlage für eine strukturierte Übermittlung molekularpathologischer Marker an die Krebsregister gelegt. Die systematische Dokumentation dieser Merkmale in unterschiedlichen IT-Systemen der Kliniken und Register und die bundesweit einheitliche Bereitstellung der Merkmale für die weitere Nutzung stellen eine Herausforderung dar. Dies wird aktuell von den Landeskrebsregistern nach § 65c netzwerkübergreifend mit anderen bundesweiten Akteuren der Medizininformatik ausgearbeitet. Der breite Nutzen von Gesundheitsdaten für die Evaluation der Versorgungsqualität, die Nutzenbewertung therapeutischer Maßnahmen und für wissenschaftliche Fragestellungen über das Lungenkarzinom hinaus können ein wichtiges Werkzeug für die Gestaltung einer effektiven Gesundheitsversorgung werden.

Dr. rer. nat. Katharina Bernhardt, Dr. med. Soo-Zin Kim-Wanner

Landesauswertungsstelle des Hessischen Krebsregisters, Hessisches Landesamt für Gesundheit und Pflege; Kontakt: krebsregister@hlfgp.hessen.de; www.hessisches-krebsregister.de